Freitag, 30. Oktober 2020

"Schuld und Sühne" - eine theologische Betrachtung

 


"Schuld und Sühne" von F.Dostojewski ist ein Klassiker der Weltliteratur. Ein junger Student plant und führt einen Mord an einer Pfandleiherin aus, bleibt unentdeckt, bricht am Ende aber unter der Last der Schuld zusammen und stellt sich der Polizei.

    Dies ist in etwa der zentrale Inhalt des Buches.

 Im ersten Kapitel begibt sich der junge und mittellose Petersburger Student Raskolnikow zu der Pfandleiherin  Iwanowna. Vordergründig um ein Uhr zu versetzen, aber eigentlich um die Möglichkeiten für einen Raub auszukundschaften. Mit dieser Tat hat er sich nämlich innerlich schon einen Monat lang in Gedanken beschäftigt.                                                                                    Aber vor Ort geschieht etwas Unerwartetes. Er spürt plötzlich, dass ein Unterschied zwischen einem Gedankenspiel und einer realen Situation besteht. Und wieder im Freien, überkommt ihn die Reue:

»O Gott, wie scheußlich das alles ist! Werde ich denn . . . werde ich denn wirklich . . . nein, das ist ja ein Unsinn, eine Absurdität!« fügte er entschlossen hinzu. »Wie konnte mir so etwas Gräßliches überhaupt nur in den Sinn kommen? Welcher schmutzigen Gedanken ist meine Seele doch fähig! Ja, es ist eine schmutzige, abscheuliche, ekelhafte, Sache. Und ich habe einen ganzen Monat lang . . .«

Solche Erleichterung kennt wohl jeder, der einmal im Begriff war eine große Dummheit zu begehen und noch rechtzeitig zur Besinnung gekommen ist. Hier hätte die Geschichte enden können, bevor sie noch richtig begonnen hatte. Aber es sollte anders kommen ...

 In nächsten  Kapitel kehrt Raskolnikov - entgegen seiner Gewohnheit - in eine Petersburger Kneipe ein, um ein Bier zu trinken. Hier lernt er den alkoholkranken Marmeladov und die Nöte kennen, die mit dieser Sucht verbunden sein können.                        Ich denke tatsächlich, dass es durchaus berechtigt, da vom "Teufel Alkohol" zu sprechen. Mancher Mensch wird durch ihn um ein gutes Leben betrogen.                                                                                  Aber nichtsdestotrotz ist es auch so, dass Kneipen auch zu Orten echter und /oder schicksalsträchtiger Begegnungen werden können. Wie im Falle von Raskolnikov und Marmeladov

 In den nächsten drei Kapiteln entwickeln sich die Dinge in einer solchen Weise weiter, dass Raskolnikov am Ende eine Entscheidung trifft. Er will die Pfandleiherin am nächsten Tag abends aufsuchen, umbringen und berauben.                                   Schien er noch nach seinem Probebesuch bei Iwanowa geläutert, so hatte ihn am nächsten Morgen ein langersehnter Brief seiner Mutter in Aufruhr versetzt. Denn hier erfuhr er, dass seine geliebte Schwester Dunia einen reichen Kaufmann zu heiraten gedachte. Und zwar um ihn, Raskolnikov, finanziell unterstützen zu können, so dass er sein Studium fortsetzen konnte. Dieses beabsichtigte Opfer seiner Schwester brachte ihn komplett aus der Fassung. Ihm war mit einem Mal klar, dass Handlungsbedarf bestand.

  Er macht sich auf den Weg zu  seinem Freund Rasumichin, um ihn zu bitten, ihm Arbeit zu besorgen. Unterwegs aber wird ihm plötzlich klar, wie sinnlos das ganze Unterfangen ist. Rasumichin hatte schon Probleme genug, sich selber über Wasser zu halten.

›Hm . . . zu Rasumichin‹, sagte er im Tone einer endgültigen Entscheidung vor sich hin und fühlte sich auf einmal völlig ruhig, ›zu Rasumichin werde ich gehen, bestimmt, . . . aber nicht jetzt gleich. Ich will zu ihm hingehen am Tage nach der betreffenden Sache, wenn die bereits erledigt ist und mein ganzes Leben einen neuen Anfang nimmt.‹

Plötzlich wird im klar, wie weit sein Mordplan in ihm schon herangereift ist: »Nach der betreffenden Sache!« rief er und sprang von der Bank auf. »Aber wird die denn stattfinden? Wird sie wirklich stattfinden?«

Ziellos läuft er durch Petersburg, trinkt einen Branntwein und legt sich in ein Gebüsch schlafen. Er träumt in erschreckender Deutlichkeit, wie ein Kutscherpferd mutwillig zu Tode gebracht wird .... überall Blut. Als er aufwacht, wird ihm in völliger Klarheit bewusst, dass seine Skrupel zu groß sind:

Nein, ich werde es nicht aushalten, ich werde es nicht aushalten! Und wenn auch in all diesen Berechnungen kein einziger zweifelhafter Punkt ist; und wenn auch alles, was ich mir in diesem Monate zurechtgelegt habe, klar wie der Tag und richtig wie das Einmaleins ist. O Gott! Ich werde mich ja doch nicht dazu entschließen! Ich werde es nicht aushalten können, nein! . . . Warum . . . warum habe ich nur bis jetzt . . .«  ...
Er fühlte, daß er diese schreckliche Last, die ihn so lange bedrückt hatte, nunmehr abgeworfen habe, und es wurde ihm auf einmal leicht und friedlich ums Herz. ›O Gott‹ betete er, ›zeige mir meinen Weg, und ich entsage diesem unseligen Plane!‹

Noch einmal schien ihn eine gute Macht an sein Gewissen appelliert zu haben, ihm zuzurufen: "Kehr um!" Aber so schnell läßt der Teufel einen nicht vom Haken. Anstatt nun auf direktem Wege nach Hause zu gehen, nimmt er - aus einer Laune heraus - einen Umweg über den Heumarkt, wo er plötzlich die jüngere Schwester der Pfandleiherin in einem Gespräch mit einem Händler sieht. Er bekommt mit, wie sie sich mit ihm für den kommenden Abend um 19 Uhr verabredete.

Sein anfängliches Staunen ging allmählich in Schrecken über, und Kälte lief ihm über den Rücken. Er hatte erfahren, plötzlich und ganz unerwartet erfahren, daß morgen, genau um sieben Uhr abends, Lisaweta, die Schwester der Alten und deren einzige Wohnungsgenossin, nicht zu Hause sein werde und daß also die Alte genau um sieben Uhr abends allein zu Hause war.

      Bis zu seiner Wohnung hatte er nur noch wenige Schritte zu gehen. Er kam nach Hause wie ein zum Tode Verurteilter. Er überlegte nichts und war auch völlig außerstande, etwas zu überlegen; aber in seinem ganzen innersten Wesen fühlte er plötzlich, daß er jetzt keine Freiheit der Überlegung, keinen eigenen Willen mehr besitze und daß auf einmal alles endgültig entschieden sei.

Dieser Zufall, der für ihn ein Wink des Schicksals war, beendete seinen inneren Kampf. Es gibt für ihn nun kein Zurück mehr. Er hat nun das auszuführen, wozu das Schicksal ihn erkoren hat. So jedenfalls erscheint es ihm.

    Uns mitteleuropäisch - aufgeklärten Menschen mag eine solche Schicksalsgläubigkeit seltsam erscheinen. Ein Zufall ist ein Zufall ist ein Zufall, nicht wahr? Aber ist dem wirklich so? Gibt es nicht Zufälle, die eine solche Unwahrscheinlichkeit haben, dass der Gedanke an schicksalhafte Steuerung recht naheliegt? Wie in dieser persönlich erlebten Geschichte: https://www.keinverlag.de/352776.text